Verfassungswidrigkeit des § 4 AsylVerfG veröffentlicht am 01-11-2004 bei RAV e.V.

Pressemitteilung:
Auslieferung an Verfolgerstaat trotz Asylanerkennung gem. Art. 16a GG?
Das weitere Ende eines bereits am Ende geglaubten Verfassungsrechts
§ 4 AsylVerfG: Die Entscheidung über den Asylantrag ist in allen Angelegenheiten verbindlich….Dies gilt nicht für das Auslieferungsverfahren.

von Jutta Hermanns
Rechtsanwältin/Berlin

Auslieferung an Verfolgerstaat trotz Asylanerkennung gem. Art. 16a GG ? Das weitere Ende eines bereits am Ende geglaubten Verfassungsrechts

Am Donnerstag, den 30. 09. 2004, wurde S.C. aufgrund eines Auslieferungsersuchen der Türkei von 15 bewaffneten Polizeibeamten im Unterricht festgenommen und nach Bremen zur Inhaftierung bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) über die von der Türkei beantragte Auslieferung an die Türkei gebracht. Gegen S.C. liegt ein internationaler Haftbefehl durch die Türkei vor. Er wird dort des „politischen Hochverrats“ gem. Art. 125 Türkisches Strafgesetzbuch beschuldigt, was bis vor kurzem noch mit Todesstrafe geahndet wurde. Die nunmehrige Strafandrohung lautet auf „lebenslänglich bis zum Tode“, d.h., ohne die Möglichkeit einer Haftprüfung und mit der gesetzlichen Vorgabe, dass von dieser Strafe bis zu 9 Jahren in Einzelhaft zu verbringen sind. Diese Vollstreckungsbestimmungen sieht das geänderte Gesetz zur Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Freiheitsstrafe für „Terrorstraftäter“ vor, worunter nach dem Gesetz Anklagen wegen „politischen Hochverrats“ per se fallen....

In der Bundesrepublik Deutschalnd stellte S.C. einen Asylantrag und wurde am 17.5.2001 unter ausdrücklicher Kenntnis des dargestellten Lebenslaufes als Asylberechtigter nach Art. 16a GG anerkannt.

Ebenfalls mit Datum vom 17.05.01 wurde seitens der türkischen Behörden eine internationale Fahndung eingeleitet, aufgrund derer nun, am 30.09.2004, nachdem die Bundesregierung grünes Licht gegeben hat, die Festnahme und sodann der Erlass des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls erfolgten.

Zuvor war durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf „Empfehlung“ des BKA ein Widerrufsverfahren eingeleitet worden, über welches noch nicht bestandskräftig entschieden ist, so dass S. C. nach wie vor asylberechtigt ist.

Eine Asylanerkennung als politisch Verfolgter gem. Art. 16a GG zu erhalten, kommt in der Bundesrepublik Deutschland nur noch selten vor. Die permanent sinkenden Anerkennungsquoten führen uns dies deutlich vor Augen. Die vielen Einschränkungen des Verfassungsrechts auf Asyl in den vergangenen Jahren führten wiederholt dazu, vom Ende des Schutzes vor politischer Verfolgung zu sprechen. Doch selbst, wer die hohen Hürden des jetzigen Asylsystems genommen hat und meint, nun sei ihm Schutz vor dem Verfolgerstaat sicher, irrt:

Auch die bestandskräftige Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG soll nun nicht mehr davor schützen, in Auslieferungshaft genommen und eventuell dem Verfolgerstaat zwecks Strafverfolgung oder –vollstreckung überstellt zu werden.

Zur Erinnerung:
Am 30.8.1983 starb Kemal Altun, 23-jähriger Asylbewerber aus der Türkei, durch einen Sprung aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts in Westberlin, wo eine Klage des Bundesbeauftragten gegen seine Anerkennung als politischer Flüchtling verhandelt werden sollte. Ein Jahr zuvor hatte sich das BKA bei der türkischen Regierung erkundigt, ob die Auslieferung gewünscht sei. Der junge Türke gehörte zur demokratischen Opposition. Die türkische Regierung ließ sich von der Bundesrepublik nicht zweimal bitten und forderte seine Überstellung in die Türkei. Das in Gang gesetzte Auslieferungsverfahren führte in der Öffentlichkeit zu einer Welle der Solidarität mit Kemal Altun. Während des politischen Tauziehens um seine Person saß der junge Asylbewerber in Auslieferungshaft, 13 Monate lang, 23 Stunden täglich allein in der Zelle. Dem Druck und der Angst vor seiner Abschiebung hielt Altun am Ende nicht mehr stand.

Das Bundesministerium der Justiz lehnte daher seit den heftigen Diskussionen in den achtziger Jahren um die Auslieferung anerkannter Flüchtlinge an die Türkei traditionell die Bewilligung der Auslieferung in Fällen unanfechtbar anerkannter Asylberechtigter ab. Die Bundesregierung lehnte die Verhängung von Auslieferungshaft und die Prüfung der Auslieferung aufgrund internationaler Haftbefehle in diesen Fällen seitdem ab. Dieser Konsens wurde nun das erste Mal aufgekündigt und hat schon aus diesem Grund weitreichende und erhebliche Folgen sowohl für das Verfassungsgrundrecht des Art. 16 a GG und die völkerrechtlichen Verpflichtungen als auch für das Rechtsstaatsgefüge und –verständnis der Bundesrepublik Deutschland.

Die rechtliche Möglichkeit des parallelen und eventuell sogar konträren Vorgehens bezüglich Asylanerkennung und Auslieferungsverfahren bietet insbesondere ein kleiner Satz im AsylVerfG. In § 4 AsylVerfG heißt es:

„Die Entscheidung über den Asylantrag ist in allen Angelegenheiten verbindlich….Dies gilt nicht für das Auslieferungsverfahren.“

Unseres Erachtens ist dieser Satz verfassungswidrig.

Auch ohne ausdrückliche Klarstellung durch den Gesetzgeber verbietet jedoch schon jetzt zwingendes Verfassungsrecht die Auslieferung eines anerkannten Asylberechtigten.
Denn das Verfassungsrecht auf Asyl würde vollständig leer laufen, würde man es durch Auslieferungsvorschriften aushebeln können. Andere Länder, wie z.B. selbst Polen, haben daher bei der Ratifizierung des Europäischen Auslieferungsübereinkommen einen Vorbehalt dahingehend erklärt, dass sie eigene Staatsangehörige nicht ausliefern werden und in Polen anerkannte Asylberechtigte eigenen Staatsbürgern gleichstellen.

Des Weiteren ist Deutschland über Art. 25 GG völkerrechtlich gebunden und die Auslieferung eines Asylberechtigten an den Verfolgerstaat wäre ein Verstoß gegen Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention.
Nach Auffassung des UNHCR umfasst der Grundsatz des Non-Refoulement auch das Auslieferungsverbot. Wenn somit nach innerstaatlichen Verfahrensregeln verbindlich über die Eigenschaft als politischer Flüchtling entschieden wurde, hat der völkerrechtliche Schutz des Art. 33 I GFK Anwendung zu finden. Aus völkerrechtlicher Sicht besteht sodann kein Raum mehr für eine Durchbrechung der Schutzwirkung.

Die Problematik war in den letzten Jahren insbesondere in Auslieferungsverfahren akut geworden, in denen die betroffene Person in anderen europäischen Staaten asylberechtigt anerkannt war, als in demjenigen Land, welches das Auslieferungsverfahren durchführte.

So führt trotz der „Harmonisierung“ des Asylrechts auf europäischer Ebene eine Anerkennung als politisch Verfolgter in einem der europäischen Staaten nicht dazu, dass diese zwingend durch einen anderen Staat als Auslieferungshindernis an den Verfolgerstaat anzuerkennen ist.

Es besteht dringender Handlungsbedarf, da die betroffenen Personen, selbst wenn am Ende ihrer Auslieferung nicht zugestimmt wird, meist über Monate in Haft in Angst verbringen, dem Verfolgerstaat womöglich übergeben zu werden. Nur eine gesetzliche und völkervertragliche Klarstellung würde derart unerträgliche Situationen verhindern können.

Wir fordern die Bundesregierung daher auf:

- keine Auslieferung von asylberechtigt anerkannten Menschen an den Staat, dessen politische Verfolgung durch die Anerkennung festgestellt wurde, zuzulassen;
- eine gesetzliche Klarstellung zu bewirken, dass eine Asylanerkennung zwingend einer Auslieferung an den Verfolgerstaat, wegen welchem die Anerkennung erfolgte, entgegensteht;
- sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass das völkervertragliche Regelwerk ebenfalls eine Auslieferung an den Staat unzulässig macht, aufgrund dessen politischer Verfolgung eine Anerkennung als Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention in einem der europäischen Vertragsstaaten erfolgte.

Jutta Hermanns
Rechtsanwältin/Berlin

hermanns@rajus.org