Internationaler Tag der Menschenrechte, 10.12.2015

RAV e.V. - Kundgebung vor der Türkischen Botschaft in Berlin

Wir haben uns heute, am internationalen Tag der Menschenrechte, hier versammelt, weil unser KollegeRechtsanwaltTahir Elci, Vorsitzender der Anwaltskammer von Diyarbakir, am 28. November 2015 während einer Pressekonferenz im Stadtteil SurvonDiyarbakir im kurdischen Teil der Türkei ermordet wurde.

An der Beerdigung von Tahir Elci nahmen etwa 100.000 Menschen teil.

Rechtsanwalt Tahir Elci, selbst kurdischer Herkunft, war
Zeit seines Lebens ein engagierter Kämpfer für die Menschenrechte, für eine friedliche Lösung der „kurdischen Frage“ und ein Verteidiger grundlegender Rechte und Freiheiten der kurdischen Bevölkerung in der Türkei.

Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte(EGMR) um dort deren Rechte gegenüber dem türkischen Staat durchzusetzen Sein Jurastudium absolvierte er an der Universität Dicle in Diyarbakır und beendete es im Jahre 1991. Seit 1992 war er zunächst in Cizre und dann in Diyarbakır freiberuflicher Rechtsanwalt. Er war in vielen Verfahren innerhalb und außerhalb des kurdischen Siedlungsgebietes aktiv und vertrat etliche Mandant_innen auch vor dem

Tahir Elçi war ein standfester und überzeugter Verfechter des Friedens und der Menschenrechte und er war bereit, für seine Ansichten einzustehen, egal was es ihn kostete oder gegen wessen Interessen er damit agierte.

Unmittelbar vor seinem Tod rief Tahir Elçi mit einer Gruppe von Anwält_innen auf einer Pressekonferenz in der historischen Altstadt von Diyarbakir dazu auf, sich gegen Krieg, bewaffnete Operationen und gegen die Zerstörung des historischen Erbes und Reichtums der Stadt einzusetzen. "Wir wollen in diesem Gebiet, das Heimat und Wiege so vieler Zivilisationen war, keine Gewalt, keinen Krieg, keine Zerstörung und keine bewaffneten Operationen“, sagte er

Erst wenige Wochen vor seiner Ermordung, im Oktober dieses Jahres, als er Kritik an der Rolle der Regierung bei der Niederschlagung von friedlichen Protesten übte, hatte er gesagt er: "Die PKK ist keine terroristische Gruppierung. Auch wenn manche ihrer Aktionen vielleicht so genannt werden können, ist sie doch eine bewaffnete politische Bewegung mit erheblicher Unterstützung“. Dies führte zu einer Welle von Lynchaufrufen und Todesdrohungen gegen ihn.

Damals wurde er festgenommen und in der Folge wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation" angeklagt.

Tahir Elçi wurde nicht das erste Mal wegen seiner politischen Meinung und seines anwaltlichen Engagements verfolgt . Bereits 1993 war er zusammen mit 15 anderen Kolleg_innen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen und erheblichen Folterungen ausgesetzt worden

Im Jahre 2003 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei wegen dieses Strafverfahrens , weil es die Festnahmen und Folter von Elçi und seinen Kolleg_innen als rechtswidrig und als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention bewertete.

Auch in den folgenden Jahren bis in die Gegenwart hinein wurde der Kollege Elci immer wieder wegen seines Einsatzes für Menschenrechte und die Rechte der Kurd-innen verfolgt

Die Situation, in der Tahir Elci erschossen wurde, war derart unübersichtlich, dass bisher eine eindeutige Aussage über die Verwicklung des Staates in diesen Anschlag nicht getroffen werden kann.

Die Rechtsanwaltskammer von Diyarbakir weist jedoch darauf hin, dass zur Zeit alle vorliegenden Erkenntnisse in Richtung der Polizei deuten.

Sie fordert daher, alles zu unternehmen, um einer Verdunklungsgefahr entgegenzuwirken, unter anderem:

  • die Durchführung der Ermittlungen durch eine unabhängige Kommission außerhalb des Polizeiapparates;

  • die Gewährung sofortiger Einsicht in alle Aktenbestandteile inclusive aller Audio- und Videoaufzeichnungen;

  • die Einleitung von Ermittlungen gegen alle Polizeikräfte, die an diesem Tag im Einsatz waren und von ihren Schusswaffen Gebrauch gemacht haben;

  • die Beschlagnahmung aller Aufzeichnungen aus der flächendeckenden öffentlichen und der privaten Videoüberwachung an diesem Ort.


    Diese Forderungen unserer Kolleg_innen unterstützen wir mit Nachdruck .

Die Ermordung Tahir Elcis findet in einer Zeit statt, die gekennzeichnet ist, durch uferloses rechtswidriges Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen jegliche Opposition und insbesondere gegen die kurdische Bevölkerung und erinnert an die dunkelsten Zeiten der 1990er Jahre, zu welcher kurdische Oppositionelle gezielt auf offener Straße ermordet wurden.

Seit den Bombenanschlägen in Diyarbakir, Suruç und zuletzt Ankara gegen progressive kurdische und türkische Friedensaktivist_innen, sowie den Mordanschlägen auf kurdische Politiker_innen in den vergangenen Tagen warnen
demokratische türkische und kurdische Kräfte vor einer neuen Welle der Gewalt.

Dessen ungeachtet intensivierte die türkische Regierung seit Sommer 2015 ihren blutigen Krieg in den kurdischen Städten und Regionen gegen die Zivilbevölkerung.

Mit diesen neuerlichen staatlichen Angriffen sollte die HDP für die Neuwahlen im November 2015 geschwächt werden, damit einer Alleinherrschaft der AKP nichts mehr im Wege stehe.

Das zunehmend menschenrechtsfeindliche Klima in der Türkei, das sich
unter anderem auch in Massenverhaftungen von Kolleginnen und Kollegen und zuletzt der Erschießung von Rechtsanwalt Tahir Elçi ausdrückt,
ist für uns Verpflichtung, uns in diesem Moment mit den Kolleg_Innen und allen anderen Menschenrechtsaktivist_innen in der Türkei zu solidarisieren. Unsere Kolleginnen und Kollegen verdienen und benötigen unsere Solidarität.

Dies gilt auch und gerade in einer Zeit, in der sich die Bundesregierung
anschickt, Menschenrechts- und Justizfragen völlig hinter eigene politische Interessen zurückzustellen und mit der Türkei Vereinbarungen abzuschließen, die ohne Berücksichtigung der Situation der Menschen dort dazu dienen, sich an den Außengrenzen Europas gegen Flüchtlinge abzuschotten und den Anblick des Elends und der Verzweiflung der Flüchtlinge von uns fernzuhalten.

Die komplette Missachtung der realen Gegebenheiten in der Türkei bei diesem Deal und der Ausverkauf jeglicher Vorstellung von Recht und Ethik ist wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht all derjenigen, die mutig für die Verteidigung von Menschenrechten und für einen würdevollen Frieden – sei es in der Türkei, sei es hier in Deutschland und Europa, sei es an anderen Orten der Welt - stehen und einstehen.


Es ist unsere Verantwortung, aufzustehen, nicht zur Tagesordnung überzugehen sondern laut und klar zu sagen:

Ihr seid nicht allein.

Nicht in unserem Namen!


 


 



 

 

hermanns@rajus.org